ZEIT online 22.11.2007 - 12:19 Uhr
Von Tag zu Tag wird es eisiger in den deutsch-chinesischen Beziehungen. Berlins Minister bekommen keine Termine mehr in Peking, Konferenzen werden abgesagt, Kulturprogramme gestrichen. Seit Angela Merkel Ende September den Dalai-Lama im Kanzleramt empfangen hat, lässt China seinem Zorn freien Lauf. Und Pekings Botschafter in Berlin warnt, es könnte noch schlimmer kommen.
Nach außen gibt sich die Bundeskanzlerin unbeeindruckt. „Angela Merkel wird sich auch in Zukunft nicht vorschreiben lassen, wen sie wo empfangen darf“, lässt sie ihren stellvertretenden Regierungssprecher Thomas Steg sagen. Aber die Härte der chinesischen Reaktion muss ihr zu denken geben. Sie hat einen eklatanten Fehler begangen, als sie bei ihrem Chinabesuch im August der chinesischen Führung nichts von dem geplanten Empfang des Dalai-Lamas sagte.
Gerade Ministerpräsident Wen Jiabao hatte sich jede erdenkliche Mühe gegeben, die Merkel-Visite zu einem Erfolg zu machen. Merkel hat ihn aus Pekinger Sicht das Gesicht verlieren lassen. Dafür wird sie einen hohen Preis zahlen. In den nächsten zwei Jahren dürfte sie vergeblich auf eine neue Einladung nach Peking warten.
Plötzlich hat das Bild von der Kanzlerin, der außenpolitisch alles gelingt, einen dicken Kratzer bekommen. Und prompt hagelt es Kritik – nicht so sehr von der Opposition als vielmehr vom eigenen Koalitionspartner. Außenminister Steinmeier wirft ihr „Schaufensterpolitik“ vor, Ex-Kanzler Schröder fährt ihr von Peking aus brachial in die Parade, nennt den Dalai-Lama-Empfang einen „Fehler“ und warnt sie wenige Tage später, im Verhältnis zu Russland neue rhetorische und ideologische Mauern hochzuziehen.
Bereitet die Kanzlerin eine strategische Wende in der Außenpolitik vor? Bricht sie mit den freundlichen Beziehungen, die unter Rot-Grün zu China und Russland bestanden? Zumindest in der Asienpolitik setzen sie und die Union einige bemerkenswerte neue Akzente. Ein Strategiepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert eine Abkehr von der Fokussierung auf China und eine Hinwendung zu alten Partnern wie Japan oder zu aufstrebenden Demokratien wie Indien. China, ein „undemokratischer, nichtliberaler“, zugleich aber wirtschaftlich enorm erfolgreicher Staat, heißt es in dem Papier, stelle dem Westen „die Systemfrage“.
Hier könnte eine hochinteressante Debatte beginnen. Unglücklicherweise trifft sie mit dem Streit um den Dalai-Lama zusammen. Nun sieht es so aus, als wolle sich Deutschland von China abwenden. Eine irrwitzige Vorstellung – nicht nur weil China gerade auf Deutschland als strategischen Partner in Europa gesetzt hat. Ohne die Volksrepublik ist keines der wichtigen Probleme der Gegenwart zu lösen – vom Kampf gegen den internationalen Terrorismus bis zum Schutz des Klimas. Ganz abgesehen davon, dass China der wichtigste Handelspartner und Investitionsstandort der deutschen Wirtschaft in Asien ist.
Einen Kotau muss die Kanzlerin deshalb nicht machen. Sie hat recht mit ihrer Forderung nach einer „wertegebundenen“ Außenpolitik. Wenn dies keine Floskel sein soll, wird sie unweigerlich anecken: in Peking, in Moskau – und hoffentlich dann und wann auch in Washington. Aber Außenpolitik ist mehr als gute Absicht. Sie ist auch die hohe Kunst zu wissen, wem man was wann zumuten kann. Angela Merkel hat den Drachen gereizt – vielleicht aus Arglosigkeit, vielleicht aus Risikobereitschaft, vielleicht auch aus wirklicher Überzeugung. Jetzt ist die Krise da. Und die Kanzlerin kann beweisen, von welchem Kaliber ihre Außenpolitik wirklich ist. |