Er-Shu aus der Nachbarschaft war besonders gut darin, Kinder zu machen, auf einmal hatte er acht Kinder. Er-Shu aus der Nachbarschaft war besonders gut darin, Söhne zu machen, alle acht Kinder waren Söhne. Der Altersunterschied zwischen den Kindern war mehr oder weniger ein und zwei Jahre. Deshalb, dass sich die Kinder sehr oft stritten und balgten, war eine alltägliche Sache.
Vor allem der siebte und der achte Sohn, sich auf die junge Rangfolge stützend, stritten sich jedes Mal, wenn zuhause Essen geteilt wurde. Insbesondere, wenn der Sommer kam, wurde für die Familie endlich eine Wassermelone gekauft, was nicht selbstverständlich war. Das hätte eigentlich ein freudiges Ereignis sein sollen. Aber jedes Mal, weil die Melone nicht gleichmäßig geteilt wurde, schrien und weinten der Siebte und der Achte und bereiteten damit der ganzen Familie kein Happy-Ende.
Er-Shu dachte, dass es in der Familie so mit diesem Weinen und Balgen nicht immer weiter gehen könne, und zerbrach sich deshalb den Kopf, welche Maßnahmen er ergreifen könnte, um dem Siebten und Achten einen Denkzettel zu verabreichen, damit im Haus endlich wieder Frieden herrschte.
An diesem Tag war es wieder ein glühendheißer Sommertag. Er-Shu dachte, dass diesen Monat die Verpflegungskosten etwas locker saßen, und entschied sich, eine Wassermelone zu besorgen, um sie unter den Familienmitgliedern aufzuteilen.
Vor dem Zerschneiden verkündete er mit Ernst, speziell auf den siebten und den achten Sohn abzielend: Die heutige Melonenteilung tue ich möglichst gerecht. Wenn trotzdem jemand ohne Grund Krach zu machen wagen sollte, dann kriegte er nicht nur keine Vorteile, sondern er bekäme nur weniger zu essen. Der Siebte und der Achte waren voller Argwohn und starrten Er-Shu an, mit einem Gesichtsausdruck, nicht klein beigeben zu wollen, als wären sie auf dem Sprung, ihre Augen dabei auf das Messer richtend, als Er-Shu es hob und die Melone teilte.
Die Melone wurde in acht Stücke geteilt. In der Familie hatten beim Essensteilen die Kleinsten Vorrang zu wählen, und auch heute war das ausnahmslos. Er-Shu ließ den Achten zuerst wählen. Der Achte machte mit einem Blick das Größte aus. Er nahm das mit festem Griff in die Hand und war gerade dabei , es anzubeißen, so schrie ihn Er-Shu laut an: Iss es nicht zuerst, warte ab, bis alle fertig sind.
Anschließend kam jetzt der Siebte an die Reihe. Dieser sah die restlichen Stücke wählerisch von links und rechts an und fand, die sieben Stücke schienen mehr oder weniger gleich groß zu sein. So konnte er sich schwer entscheiden. Er dachte nur, dass das Stück, das der Achte ausgewählt hatte, sichtlich grösser war. Aber wie hätten der Siebte und der Achte ahnen können , dass ihnen hier eine Falle von ihrem alten Kerl gestellt wurde.
Der Siebte zögerte unentschieden und konnte nicht zupacken. Er machte Lärm und wollte auf Leben und Tod das Stück haben, das der Achte in der Hand hielt. Er-Shu sagte: Der Achte darf bei Melonenessen zuerst wählen, das ist in unserer Familie eine Regel, die von niemanden gebrochen werden darf, auch von dir nicht. Nun hat der Achte bereits gewählt und du kommst an die Reihe. Wenn du aber nicht wählst, bedeutet das, dass du auf dein Recht verzichtest und dann lassen wir gleich deine älteren Brüder wählen. Wir lassen dich wählen, und wählst du nicht, dann ist das Stück deines, das als letztes übrig bleibt. Das darfst du dann nicht bereuen.
Als der Siebte dies hörte, befürchtete er, dass das tatsächlich ein großer Schaden für ihn sein würde, glaubte er sich, festgestellt zu haben, welches das größte Stück unter den sieben sei und riss das mit einem Griff an sich. Er drehte sich um und hielt das eigene Stück nah an das in den Händen des Achten, zum Vergleich, und konnte nichts anders tun als jäh in Zorn zu geraten. Ist denn nicht der Unterschied erheblich groß?! Das ist doch wie ein Taubenei gegenüber einem Gansei ! Er wollte auf alle Fälle damit nicht einverstanden sein.
Er-Shu wandte sich ärgerlich an den Siebten und sagte: Du hast jetzt gewählt, und bei so einem heißen Wetter sollst du deine älteren Brüder nicht zu lange warten lassen. Du und der Achte essen eure Melonen nicht zuerst, ich werde sie extra behandeln.
Nachdem er dies gesagt hatte, nahmen all die älteren Brüder je ein Stück. Sie gingen vom Tisch weg und aßen friedlich miteinander woanders.
Dann ließ Er-Shu den Siebten und den Achten die Melonenstücke wieder auf das Schneidebrett legen und sagte zu den beiden: Der Siebte hat behauptet, dass das Stück des Achten größer ist. Ist denn wirklich so? Der Siebte griff eifrig zuerst das Wort: So ist das! Seines ist größer als meines und sogar beträchtlich größer.
Er-Shu wandte sich an den Achten: Wie denkst du darüber? Der Achte wollte eigentlich lügen und angeben, dass das Stück des Siebten größer sei, hatte aber Angst, dass dann Er-Shu sagte: Du sollst dein Stück gegen das des Siebten tauschen, wenn du behauptest, seines ist größer. Deshalb sagte er nichts und schwieg.
Darauf sagte Er-Shu: Bevor ich die Melone geteilt, habe ich gesagt, dass ich sie gerecht teilen werde und glaubte, dass ich sie haargenau geteilt habe. Gegen meine Erwartung meinte der Siebte, dass das Stück des Achten größer ist, und sogar erheblich größer. Was sagst du dazu, du Achter ?
Der Achte nickte und erwiderte nichts. Er-Shu sagte: Das ist doch einfach. Dann mache ich die zwei Stücke gleich groß. Blitzschnell hob Er-Shu das Messer hoch, ließ es fallen, schnitt ein Stück ab und stopfte das in den Mund, bevor der Achte vor Schock schreien konnte.
Ist es jetzt gleichgroß? fragte Er-Shu. Der siebte Sohn sah, dass jetzt das Stück des Achten um ein großes Stück kleiner war als seines, nahm sein eigenes Stück schnellstens in die Hand und meinte: Das ist okay so. Wir brauchen hier nichts mehr zu teilen.
Nun wollte sich der Achte damit nicht zufrieden geben. Weinend deutete er auf das Stück des Siebten: Seines ist viel größer als meines, ich will sein Stück. Er-Shu hielt den Siebten mit einem Schrei auf: Lauf nicht damit weg, warte bis es gleichmäßig aufgeteilt ist.
Auf die beiden Stücke auf dem Schneidebrett deutend sagte Er-Shu: Ich sehe, die beiden Stücke sind jetzt ungefähr gleich, oder? Der Achte bestand vehement darauf, dass das Stück des Siebten größer sei, und der Siebte konnte nicht anders als dies anerkennen, sagte aber, dass er sein Stück vom Anfang an gewollt hätte. Der Achte durfte sein Stück nicht nehmen.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, hob Er-Shu das Messer hoch, ließ es fallen und steckte sich das abgeschnittene Stück vom Melonenteil des Siebten in den Mund. So war das Stück des Achten nun größer geworden.
Er-Shu fragte noch einmal, ob es gleichmäßig geteilt war. Auf einmal durschauten der Siebte und der Achte die Absicht Er-Shus gleichzeitig und nahmen ihr jeweils eigenes Stück und riefen einstimmig: Nicht mehr teilen. Sie traten zur Seite und jeder der beiden aß sein eigenes Stück.
Seitdem war es im Haus immer friedlich und ruhig, wenn es Melonen zu essen gab.
PS.* Er-Shu bedeutet: Der zweitälteste Onkel.
München, den 15 April 2019